Er mochte auch das Meer nicht, oder das, was Normalsterbliche Meer nennen und was in Wirklichkeit nur die Meeresoberfläche ist, die vom Wind aufgewühlten Wellen, die nach und nach zum Sinnbild für Scheitern und Wahnsinn wurden. Was er mochte, war der Meeresgrund, dieses andere Land, mit Ebenen, die keine Ebenen, Tälern, die keine Täler, und Abgründen, die keine Abgründe waren.

2666 bei amazon kaufen So beschreibt Roberto Bolaño in seinem Roman 2666 seine Schlüsselfigur Hans Reiter gegen Ende des Werks. Wahrlich ein ungewöhnlicher Typ, einer, der wegen seiner Schlaksigkeit gar mit einer Alge verwechselt wird. Ein Schriftsteller, der unter dem irrwitzigen Psydonym Benno von Archimboldi spät zu seiner Passion fand und sich von allem derart abschottet, dass er nicht einmal seine Literaturpreise abholt. (bei Klick auf Bild – Buch 2666 bei Amazon kaufen)   Bolaños letztes Werk beginnt mit dem Zusammentreffen von vier Akademikern, die sich als größte Anhänger seiner Bücher auf Archimboldis Spuren begeben. Schließlich landen sie in Südamerika in der (fiktiven) Stadt Santa Teresa ohne wirklich etwas über den Autor herausgefunden zu haben. Dafür begegnet sich die Britin Liz Norton in einer fantastischen Traumszene (S. 160 ff) selbst und löst das Geflecht der vier Kritiker überraschend auf. Es folgt der „Teil von Amalfitano“, einem Philosophie-Professor, der mit seiner Tochter nach Santa Teresa zieht. Er ist komplett fasziniert von dem „Geometrischen Vermächtnis“ von Rafael Dieste, das er schließlich auf die Wäscheleine hängt. Zu seiner Tochter Rosa sagt er über sein Buch auf der Leine:
Ich habe es einfach nur so aufgehängt, um zu sehen, wie es den Unbilden der Witterung, dem Ansturm der Wüste trotzt.
Als seine Tochter ihr Date ins Haus mitbringt, hat Amalfitano nur drei Fragen: was er über Hexagone dächte, ob er eins anfertigen könne und was er von den Frauenmorden von Santa Teresa halte. – Jene Szene ereignet sich im „Teil von Fate“, einem Journalisten, der auf eigene Faust über die unzählichen Morde an jungen Frauen recherchiert. Am Ende bleibt ein großes Fragenzeichen, das Bolaño im nächsten, sehr umfangreichen Teil von den Verbrechen ausführt. Auf mehreren hundert Seiten beschreibt er teils sehr sachlich grausame Morde mit schier unerträglichen Details. Harte Zeiten für den Leser. Die meisten Verbrechen bleiben ungeklärt. Die Polizei selbst ist wenig ambitioniert, den oder die Täter zu finden. Lediglich in wenigen Einzelfällen kann ein Mörder festgenommen werden. Am Ende des Teils der Verbrechen wird der deutscher Hüne Klaus Haas inhaftiert. Im letzten Part „Der Teil von Archimboldi“ macht Bolaño einen Sprung in die Vergangenheit. Endlich bekommt der Leser ein Bild vom unbekannten Autor, der eine zentrale Rolle in der Geschichte einnahm. Und: Die Verbindung zu Klaus Haas wird hergestellt.

Warum „2666“ von Roberto Bolaño?

Mir fiel der Wälzer im Buchgeschäft in die Hände und wurde durch die zitierte Buchkritik angelockt. Laut Spiegel „Das aufregenste Buch eines lateinamerikanischen Schriftstellers seit Gabriel García Márquez‘ Hundert Jahre Einsamkeit.“ Auf was ich mich da wirklich eingelassen habe, ahnte ich erst später. 2666 ist eins der wenigen Bücher, das ich nicht an einem Stück gelesen habe. Ich habe mich einige Monate durchgekämpft und dran gearbeitet. Immer wieder las ich zwischendurch andere Bücher. Der „Teil von den Verbrechen“ hat mir arg zugesetzt. Ich bin eh schon zart besaitet, in der Schwangerschaft waren nun einige Szenen für mich kaum aushaltbar, sodass ich sogar ab und an überblätterte.  Die Verbrechen werden im Stil polizeilicher Protokolle abgehandelt basierend auf die nie aufgeklärten Frauenmorde in Ciudad Juarez. Der Autor lässt den Leser am Ende mit vielen Fragen zurück. Bolaño ist gestorben, bevor er das Werk komplett abgeschlossen hat. Und so blieb in mir der Wunsch auf das eine oder andere Verbindungsstück. Daniel Kehlmann beschreibt in seiner Kritik für die FAZ das Werk als  gewaltigen, mysteriösen Torso. Lohnt sich 2666? Schon. Roberto Bolaños Buch ist voller Einzigartigkeiten, voller überschäumender Sätze. 2666 ist eine „Höllenfahrt“ heißt es auf dem Klappentext.  Und tatsächlich blicke ich als Leserin in nie erahnte menschliche Abgründe.   Ob Roberto Bolaño ahnte, dass er ein Stück Weltliteratur hinterlassen würde oder war auch er ein von Zweifeln Geplagter? Gegen Ende des Buches trifft Benno von Archimboldi einen gescheiterten Schriftsteller, der sich fortan ausschließlich dem Lesen widmet, da er erkannt hat, niemals mehr als ein zweitklassiges Werk zu schreiben.  
Es ist erforderlich, dass es viele Bücher gibt, viele wunderbare Kiefern, damit sie das eine Buch vor falschen Blicken schützen, das wirklich wichtig ist, die verfluchte Grotte unseres Unglücks, die Zauberblume des Winters.  

Lesetipp

Das Werk von Roberto Bolaño ist mit 1100 Seiten wahrlich ein monumentales Werk und für einen Kurzurlaub zum Abschalten Geschmackssache. Nachdem ich das Buch beendet hatte, hatte ich das Bedürfnis noch jede Menge über Roberto Bolaño und 2666 zu erfahren und googelte bis zum Abwinken. Ein Tipp ist mir besonders im Gedächtnis geblieben, auch wenn ich ihn selbst nicht beherzigt habe. Gut wäre, wenn man zunächst ein anderes, nicht ganz so umfangreiches Buch von ihm liest, um zu schauen, wie man mit  Bolaño zurechtkommt. Wahlweise gibt es hier auch eine Leseprobe von 2666. 2666 roberto bolano  

Details zu 2666

Sämtliche Zitate sind aus der Taschenbuchausgabe vom Fischer Verlag, 2. Auflage, März 2013. Christian Hansen hat aus dem Spanischen übersetzt. Roberto Bolaño wollte das Buch eigentlich in mehreren Teilen veröffentlichen, um seine Erben ein regelmäßiges Einkommen zu sichern. Nach seinem Tod entschied man sich dann, die Teile in einem großen Werk zusammenzufügen. Bolaño kam 1958 in Chile auf die Welt und lebte die letzten Jahre in Blanes (Spanien). Dort starb er 2003 als er auf eine Lebertransplantation wartete. Wer sich noch mehr mit Bolaño und seinen Werken auseinander setzen möchte, dem sei diese Seite ans Herz gelegt: www.wilde-leser.de

Über Hella

Ich bin Hella. Mein Hobby ist angeln. Sätze angeln. Und die teile ich ab sofort auf meinem Blog. Ich lese schrecklich gerne und habe es in einem Urlaub schon mal auf 22 Bücher gebracht. Okay, ich gebe zu: Wir waren zehn Wochen auf Reisen. Wenn ich nicht lese oder reise, bin ich freie Autorin und Editor für einen E-Commerce-Shop. Was ich sonst noch mag: Gorgonzola, Coq au Vin, Tan Tan Men, gebratene Aubergine, Pannobile mit Käseplatte, Oum Shatt, Mittekill, Django Django, Element of Crime, Alexandra (ehrlich! voll!), Chilly Gonzales, Adam Green, Fleet Foxes, Zaz und am allerallermeisten meine wundervollen überdurchschnittlich lustigen Zwillingsmädchen.

© Die Satzfischerin

Scroll to Top