Wie der Hund dem zusammengerollten Igel begegnet, abschätzend, unschlüssig, mürrisch, und dann geht er weg.
So beschreibt
Christoph Meckel seinen Nachbarn und Freund Mathieu in
„Ein unbekannter Mensch“. Dieser Satz ist bei mir besonders hängen geblieben in den Zeiten, in denen viele Mitmenschen keine Lust mehr haben weiter zu denken und in den Wahlkabinen ihrem Unmut ein bedenkliches Kreuzchen setzen.
Was nicht anwendbar ist auf ihn und auf das, was er weiß – wie auf das, was er nicht verschmerzt oder was ihm fehlt -, wird sofort fallengelassen und hat keine Chance.
Wahrscheinlich ist der alte Lavendelbauer ein guter Mensch, zumindest kein schlechter. Freilich geht es in Meckels Porträt „Ein unbekannter Mensch“ nicht um Politik und Mathieu scheint auch nicht in unserer Gegenwart angekommen zu sein. In den Bergen in Südfrankreich ticken Mathieus Uhren langsam während sich Wirtschaft und Städte in einer schwindelerregenden Geschwindigkeit entwickeln. Mathieus Hof ist 300 Jahre alt, er ist der letzte seiner Familie, nach seinem Tod wird sein Hof nicht mehr bewirtschaftet. Jeder hat doch so ein verfallenes Häuschen schon gesehen, oder? Im Osten Deutschlands, im Hinterland Portugals und nun blüht eben auch Matthieus Haus die sichere undankbare Zukunft. Dabei ist doch die Landschaft in der Drome so hübsch!
Die Beziehung der Menschen zur Natur – bleibt anderen vorbehalten, er kennt das nicht, Mathieu ist Bestandteil der Landschaft und was in ihr lebt. (…) Natur ist Rohstoff, verwertbares Material. Sie ist lebendig, das heißt zum Gebrauch bestimmt, alles andere ist Ansichtssache und nicht Natur.
Die stillen alten Dörfer in der Provinz erscheinen schön wie eh und je. Doch:
Diese Dörfer sind tot, weil die Bauern verschwunden sind. Nun fallen die Städter an den Wochenenden und Ferien ein. Später beschreibt Meckel:
Die Besitzer kommen in schweren Wagen, im Gepolter unangefochtener Arroganz, und bilden fremde Nester im Land.
Auf 104 Seiten zeichnet Christoph Meckel ein Bild von seinem Nachbarn, den unbekannten Menschen. Ein stiller Typ, allein, sorgend und nie klagend, mürrisch, liebenswert und in seiner eigenen Welt lebend. Mathieu, so mutmaßt Meckel, scheint nicht einmal zu wissen, dass es Gedichte gibt. Der Autor und der Bauer – Die Freundschaft ist greifbar und doch hat der Schriftsteller nie recht erfassen können, wie es in Mathieus Inneren aussieht.
Warum „Der Unbekannte Mensch“?
Christoph Meckel, der Poet, formt wunderschöne Satzmelodien. Durch viele Zitate in französischer Sprache wirkt sein Buch wie ein sanfter, fast lauwarmer Fluss, der einen auf die kurze Reise in die französischen Berge mitnimmt. Der Leser erhält die Chance ganz langsam ein Bild von einem Menschen zu bilden, der auf den ersten Blick einfach erscheint. Das Buch ist schnell durchgelesen, man kann es immer wieder zur Hand nehmen und bleibt an zuvor unentdeckten Stellen hängen.
Es begann das stetige Dasein, von nichts unterbrochen, die langen, langsamen Jahre, durch nichts beschleunigt (…) Es gab noch nicht den Verbrauch durch die Zeit, die Zeit entstand später, als er sechzig war und die Schwester grau und klein zu werden begann. Meer der Zeit, Fluß der Zeit, oh Wüste der Zeiten!
Lesetipp
Lieber in Papierform als auf den Kindle. In diesem Buch mag man einfach nochmal in Ruhe zurück- und vorblättern, Sätze noch einmal lesen. Perfekt für den Urlaub als kleine Lektüre zwischen beispielsweise leichterer Literatur, um für eine Weile die Schönheit der Poesie in den Händen zu halten.
Details zu „Ein unbekannter Mensch“ von Christoph Meckel
Ich zitiere aus
„Ein unbekannter Mensch“ – „Fischer Taschenbuch“ –, 5. Auflage, Dezember 2014. Das Buch erschien 1997. Wer Meckel mag, dem sei unbedingt auch die Liebesgeschichte „Licht“ ans Herz gelegt.
Außerdem passt zu dieser Erzählung:
Robert Seethaler – Ein ganzes Leben