„Hallo, Partner“, sagte der Meister und zwang sich zu einem Lächeln, „willkommen im Showbiz.“ „Von wegen Showbiz“, sagte ich. „Was sich da abgespielt hat, war Körperverletzung. Als ob man in einen Hinterhalt gerät und skalpiert wird.“ „Das ist das Auf und Ab des Lebens, Junge, das Geben und Nehmen der Menge. Man weiß nie, was passiert, wenn der Vorhang hochgeht.“
Meister Yehudi in Paul Austers „Mr. Vertigo“ zu seinem jungen Schüler Walt, nachdem dieser im August 1927 den ersten Auftritt auf der Bühne eines Jahrmarkts hinlegte. Walt war fantastisch. Das Publikum eine Katastrophe. Irgendeiner der besoffenen Bauern fing an, mit Flaschen auf den kleinen Walt zu schmeißen, schließlich sank der schwebende Walt auf den Grund des Teichs. Der Meister und Walt mussten die Füße in die Hand nehmen und vor dem wütenden Mob fliehen. Echt frustrierend! Walt gab dem alberenen Kostüm, in dem er aussah wie Johannes der Täufer die Schuld, der Meister einfach nur dem randvollen Publikum. Das Zitat findest du in Paul Austers „Mr. Vertigo“ im ersten Drittel der Geschichte. Der zwölfjährige Straßenjunge Walter Clairborne wurde kurz zuvor von seinem Meister aufgelesen, der sein Talent erkannte und ihm das Fliegen beibringen wollte. Der Weg dorthin ist beschwerlich und mit vielen, vielen Qualen verbunden. Beispielsweise musste er sich lebendig begraben lassen – „eine Erfahrung, die ich keinem wünsche. (…) ein Saatkorn des Wahnsinns ist dir in den Kopf gepflanzt worden.“ Walts Leben ist wahrlich nicht einfach, dafür umso abenteuerlicher. Und am Ende des Buchs lernt der Leser auch noch den größten Tricks des Zaubers. Die New York Times dazu: “ Mr. Auster saves his best for the last lovely pages.“

Warum dieses Buch?

Mr. Vertigo ist wohl eins der fantasievollsten Bücher Paul Austers. Lustigerweise hatte ich schon unzählige Erzählungen von ihm gelesen, als ich mich vor zehn Jahren nachts um 5 Uhr in irgendeiner Münchner Bar mit einem Typen in einem nicht so schönen glitzernden schwarzen Shirt über Paul Auster unterhielt und er sich an den Kopf fasste, warum ich ausgerechnet Mr. Vertigo noch nicht gelesen hatte. Und ja, er hat sich zurecht an den Kopf gefasst. Wer Paul Auster mag, muss Mr. Vertigo lesen. Walts Leben ist wundersam und schmerzhaft, durchzogen von kleinen und großen menschlichen Grausamkeiten. Das Ganze verpackt in einer gewaltigen Sprache. Am Ende bleiben von „Mr. Vertigo“ dutzende Bilder im Kopft, die auch heute – zehn Jahre nach der Lektüre – immer wieder aufpoppen. Danke, Paul Auster, danke, Barbekanntschaft. Auch zum Verschenken ein großartiges Buch. Die Zielgruppe: Jeder ab 16 Jahren, der im Kopf viel Raum für Fantasie hat.

 Details zu Mr. Vertigo

Das Buch erschien 1994. Das Zitat findest du in der Taschenbuchausgabe aus dem Rowohlt Verlag. Werner Schmitz übersetzte. Einige junge Leser dürften „Mr. Vertigo“ kennen: Viele Lehrer nahmen das Buch im Englisch-Unterricht mit ihren Schülern durch. Übrigens: Gegen Ende des Buchs eröffnet Walt sein Nachtlokal „Mr. Vertigo“ – ein Grund wohl, warum diverse Bars heute diesen Namen tragen. Und worum geht’s in Mr. Vertigo? Paul Auster selbst hat lange gebraucht, um seine Schreib-Kunst zu entfesseln. Mr. Vertigo dürfte ein Rückblick auf sein Leben sein. Fliegen lernen: Jedem so, wie er es sich’s vorstellt. Noch mehr Buch-Ideen mit Amazon-Links

Über Hella

Ich bin Hella. Mein Hobby ist angeln. Sätze angeln. Und die teile ich ab sofort auf meinem Blog. Ich lese schrecklich gerne und habe es in einem Urlaub schon mal auf 22 Bücher gebracht. Okay, ich gebe zu: Wir waren zehn Wochen auf Reisen. Wenn ich nicht lese oder reise, bin ich freie Autorin und Editor für einen E-Commerce-Shop. Was ich sonst noch mag: Gorgonzola, Coq au Vin, Tan Tan Men, gebratene Aubergine, Pannobile mit Käseplatte, Oum Shatt, Mittekill, Django Django, Element of Crime, Alexandra (ehrlich! voll!), Chilly Gonzales, Adam Green, Fleet Foxes, Zaz und am allerallermeisten meine wundervollen überdurchschnittlich lustigen Zwillingsmädchen.

© Die Satzfischerin

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